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U15-Stellungnahme zum Referentenentwurf für ein Gesetz zur Änderung des Befristungsrechts für die Wissenschaft

VORBEMERKUNGEN

Die wertvollste Ressource für forschungsstarke Universitäten sind ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Wir teilen deshalb nachdrücklich die Einschätzung des Referentenentwurfs, dass es attraktive Arbeitsbedingungen braucht, um auch weiterhin herausragende Persönlichkeiten für die Wissenschaft gewinnen und in ihr halten zu können. Der Referentenentwurf wird weitreichende Veränderungen für das Wissenschaftssystem mit sich bringen. Gerade Karrierewege nach der Promotion werden sich zukünftig deutlich verändern. Universitäten kommt in diesem Prozess eine zentrale Rolle zu. Sie sind in der Verantwortung, diese Transformation aktiv zu gestalten, mit dem Ziel, attraktive Arbeitsbedingungen und verlässliche Karrierewege zu gewährleisten.

Das Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG) ist bei der Gestaltung von Arbeitsbedingungen und Personalstrukturen einer von vielen Bausteinen. Es regelt die Befristungsmöglichkeiten in der Wissenschaft und muss einen allgemeinen bundesweiten Rahmen bieten, der die Bedingungen einer kleinen, regional aufgestellten Hochschule für angewandte Wissenschaften ebenso berücksichtigt wie die an einer großen, international ausgerichteten Forschungsuniversität oder einem außeruniversitären Großforschungszentrum. Auch die verschiedenen Fachkulturen – von der Rechtswissenschaft bis zur Physik – müssen abgebildet werden.

Der vorliegende Referentenentwurf stellt aus unserer Sicht eine überwiegend belastbare Grundlage für die Novellierung des WissZeitVG dar. Die Einführung von Mindestvertragslaufzeiten erhöht die Verlässlichkeit und Planbarkeit in frühen Karrierephasen. Die im Referentenentwurf skizzierte Ausgestaltung der Postdoc-Phase findet eine Balance zwischen Qualifizierungsbedarf und früherer Klarheit über die Perspektiven einer dauerhaften Beschäftigung in der Wissenschaft. Die Intention hinter der Einführung des Qualifizierungsvorrangs ist begrüßenswert, die avisierte Umsetzung bringt aus unserer Sicht aber substanzielle Probleme mit sich. Mit großer Sorge blicken wir auf die geplante weitere Öffnung der Tarifklausel, die zu einer Zersplitterung und Versäulung des Wissenschaftssystems führen könnte.

SPEZIFISCHE BEMERKUNGEN

1. Regelungen zur Promotionsphase

Wir begrüßen die Regelungen zur Ausgestaltung der Promotionsphase. Sie erhöhen die Verlässlichkeit und Transparenz der Karrierewege. Wir begrüßen die Einführung einer Mindestvertragslaufzeit von 3 Jahren als Soll-Vorschrift. Wir begrüßen ebenfalls ausdrücklich die Einführung der pflegepolitischen Komponente in §2 (1).

Kein Änderungsvorschlag

 

2. Post-Doc Phase

Wir halten die Vorschläge des Referentenentwurfs für die Qualifizierungsphase nach der Promotion für eine belastbare Grundlage, mit der Universitäten arbeiten können. Zugleich ist klar, dass sie eine erhebliche Restrukturierung der Postdoc-Phase implizieren, insbesondere dadurch, dass die Höchstbefristungsdauer (ohne Anschlusszusage) von 6 auf 4 Jahre und damit um ein ganzes Drittel reduziert wird.

  • Wir begrüßen die Einführung einer Mindestvertragslaufzeit von zwei Jahren als Soll-Vorschrift. Sie entspricht internationalen Standards. Eine Regelungsunklarheit besteht im Widerspruch zur Anforderung des Gesetzes, die vereinbarte Befristungsdauer jeweils so zu bemessen, dass sie der angestrebten Qualifizierung angemessen ist. Das kann in bestimmten Fällen im Widerspruch zur Mindestvertragslaufzeit stehen. Der auf Verwaltungsebene aufzulösende Widerspruch von tatsächlichem Qualifizierungsziel zu vorgegebenen Mindestvertragslaufzeiten wird einen erheblichen administrativen Mehraufwand und gegebenenfalls Rechtsunsicherheit mit sich bringen.
  • Die Höchstbefristungsdauer von vier Jahren ohne Anschlusszusage stellt aus unserer Sicht die untere zeitliche Grenze dar, innerhalb derer eine Qualifikation nach der Promotion und der damit verbundene Aufbau eines eigenständigen, sichtbaren wissenschaftlichen Profils noch realisierbar sind. Würde sie unterschritten, wäre beides nicht mehr möglich.
  • Die Einführung einer Befristungsoption mit Anschlusszusage kann ein hilfreiches neues Element zur Ausgestaltung verlässlicher, planbarer Karrierewege sein. Sie ist aber deutlich zu kurz, um die R3-Phase abzubilden. Für eine definitive Aussage, ob sie sich in der Praxis bewähren kann, ist es allerdings noch zu früh.
  • Die Gesetzesbegründung legt bezüglich der Anschlusszusage fest, dass die Erreichung der vereinbarten Ziele in „einem qualitätsgesicherten, transparenten Verfahren zu evaluieren“ ist und verweist auf die Verfahren und Erfahrungen, die im Rahmen der Einführung der Tenure-Track Professuren gesammelt wurden. Während Tenure-Track-Professuren allerdings auf einen Zeitraum von sechs Jahren angelegt sind, ist die Anschlusszusage aktuell auf 2 Jahre begrenzt. Das legt nahe, dass die Verfahren im Rahmen von Tenure-Track nur bedingt auf das Modell der Anschlussstelle übertragbar sein dürften. Wir werben an dieser Stelle dafür, noch einmal die Perspektive aus der Praxis einzuholen, um eine Formulierung im Gesetzestext zu finden, die ein pragmatisches und praxistaugliches Evaluierungsverfahren ermöglicht.
  • Es gilt zudem zu berücksichtigen, dass im Gegensatz zu Tenure-Track-Professuren, bei der im Referentenentwurf avisierten zweijährigen Bewährungsbeschäftigung, das damit verbundene Aufgabenfeld nicht mit der zukünftig zu besetzenden Dauerstelle identisch sein muss. Hier muss ein praxistauglicher Rahmen für sachgerechte Zielvereinbarungen geschaffen werden.
  • Wir begrüßen nachdrücklich die Beibehaltung der Übertragbarkeit nicht in Anspruch genommener Befristungszeiten aus der Phase vor der Promotion in die Phase nach der Promotion. Sie stellt einen effektiven Anreiz für weitere Anstrengungen in Richtung kürzerer Promotionszeiten dar.
  • Wir begrüßen auch hier die Einführung der pflegepolitischen Komponente in §2 (1).

Änderungsvorschlag

Prüfung der Formulierung in der Gesetzesbegründung, wie das Evaluierungsverfahren rechtssicher und praxistauglich auszugestalten ist, mit dem die Zielerreichung im Rahmen einer Befristung nach Anschlusszusage überprüft wird.

 

3. Verhältnis von Qualifizierungsbefristung und Drittmittelbefristung (Qualifizierungsvorrang)

Der Referentenentwurf führt einen Qualifizierungsvorrang ein dergestalt, dass eine Befristung wegen Drittmittelfinanzierung erst zulässig ist, wenn die zulässige Befristungsdauer der Qualifizierungsbefristung ausgeschöpft ist, konkret also 6 Jahre vor der Promotion und 4 Jahre nach der Promotion.

Wir begrüßen die mit der Einführung des Qualifizierungsvorrangs verbundene Gleichstellung der Rahmenbedingungen für die Durchführung wissenschaftlicher Qualifikationsvorhaben, unabhängig ob sie aus Haushalts- oder Drittmitteln finanziert werden: Dies betrifft den Anspruch, dass die Vertragslaufzeit unabhängig von der Laufzeit eines ggf. zugrundeliegenden Forschungsprojekts der angestrebten Qualifizierung entsprechen muss und die Ansprüche auf die sozial-, familien- und (neu) pflegepolitisch begründeten Vertragsverlängerungsoptionen nach § 2 (5) WissZeitVG.

Obwohl wir die Intention klar begrüßen, sehen wir in der jetzigen Fassung folgende kritischen Punkte:

(i)      Die vorgeschlagene Regelung greift nicht bei Drittmittelvorhaben, die kein Qualifizierungsziel verfolgen oder ein Qualifikationsziel, das zeitlich kürzer als die vorgeschriebene Mindestvertragslaufzeit ist. Ausgangspunkt des Gesetzentwurfs scheint die nationale öffentlich-rechtliche Drittmittelvergabe zu sein, die in der Regel eine Qualifizierung vorsieht. Dies bildet jedoch nur einen Teil des Drittmittelsystems ab. Viele Drittmittelstellen sehen strukturell keinen Qualifikationsanteil vor. Personen die im Rahmen einer solchen Stelle nach §2 (1) WissZeitVG befristet angestellt wären, würde damit ein eklatanter Nachteil, was die Qualifizierungszeiten angeht, entstehen. Der Referentenentwurf berücksichtigt zudem nicht die Fälle, in denen sich eine Person nicht qualifizieren, sondern nur im Drittmittelprojekt arbeiten will. Der Referentenentwurf bildet insbesondere nicht den Fall echter FuE-Verträge mit Unternehmen ab, die nicht der Qualifikation dienen. Um in diesen Fällen die vorgeschlagene Regelung erfüllen zu können, müsste ein artifizielles Behelfsqualifikationsziel verwendet werden, das einen die Mindestvertragslaufzeit abdeckenden Beschäftigungszeitraum begründen würde.

(ii)    Der aktuelle Entwurf legt nicht eindeutig fest, inwieweit bei der Bestimmung des Zeitraums mit Qualifizierungsvorrang auch die Vertragsverlängerungsoptionen nach §2 (5) angerechnet werden sollen oder nicht; ebenfalls bleibt offen, ob eine Beschäftigung wegen Drittmittelfinanzierung jeweils bezogen auf die beiden Phasen vor der Promotion bzw. nach der Promotion erfolgt oder erst, wenn beide Phasen durchlaufen sind – letztere Variante würde eine Beschäftigung nach Drittmittelfinanzierung nur für Personen ermöglichen, die zehn Jahre qualifizierungsbefristet gewesen wären. Wir gehen davon aus, dass dies nicht intendiert ist, andernfalls hätte es gravierende Folgen für die Durchführbarkeit von Drittmittelforschung insgesamt.

(iii)   Die Einführung des Qualifizierungsvorrangs führt zu Mehrkosten. Für die Hochschulen schätzt das BMBF diese auf 8,7 Mio. € p.a. und zwar bezogen auf familienpolitische Vertragsverlängerungen (Mutterschutz, Elternzeit). Das BMBF weist selbst daraufhin, dass es sich dabei nur um eine grobe Schätzung handelt. Die tatsächlichen Mehrkosten dürften deutlich darüber liegen. Dies stellt eine weitere Belastung für die ohnehin unterfinanzierten Haushalte der Hochschulen dar. Das BMBF schreibt weiter: „Zwar kann ein Ausgleich von finanziellem Mehrbedarf durch die Aufstockung von Projektmitteln durch die Fördermittelgeber erfolgen. Dies ist aber bislang nicht durchgängig üblich.“ Wir halten es deshalb für wichtig, dass sich Bund, Länder und Hochschulen gemeinsam bei den Fördermittelgebern für eine entsprechende Aufstockung der Projektmittel einsetzen. Bund und Länder sind jeweils gefordert, hier als öffentliche Vorbildgeber voran zu gehen.

Änderungsvorschlag

  1. Änderung der Muss- in eine Soll-Vorschrift: „Eine Befristung nach Satz 1 soll erst genutzt werden, wenn die nach Absatz 1 zulässige Befristungsdauer ausgeschöpft ist.“
  2. Klarstellung, wie genau sich die Qualifizierungsbefristung bemisst.

 

4. Tariföffnung

Wir sehen die im Referentenentwurf abgebildete Erweiterung der bisherigen Tariföffnung aus folgenden Gründen mit großer Sorge:

(i)      Sie kann zu einer Zersplitterung und Versäulungdes wissenschaftlichen Karrieresystems in Deutschland führen, wenn auf unterschiedlichen Ebenen unterschiedlichen Tarifvereinbarungen gelten würden. Während außeruniversitäre Forschung überwiegend dem TVöD (Bundesebene) unterliegt, unterliegen Hochschulen dem Tarifvertrag der Länder (TV-L) mit der Ausnahme von Hessen. Sollte es zu abweichenden Regelungen zwischen einzelnen Ländern oder zwischen Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen kommen, hätte dies gravierende Folgen für die innersystemische Anschlussfähigkeit von Karrierewegen und für die Kooperationsfähigkeit zwischen Einrichtungen: Was wäre etwa, wenn der TVöD eine Beschäftigung an einem außeruniversitären Institut in einem Fall ermöglichte, der TV-L hingegen nicht – wie sollten in diesem Fall außeruniversitäres Institut und Hochschule in einem gemeinsamen Projekt zusammenarbeiten können?

(ii)    Tarifverhandlungen werden typischerweise von Innen-/Finanzressorts geführt, nicht durch das Wissenschaftsressort. Wir sehen das Risiko, dass die Suche nach wissenschaftsadäquaten Lösungen in den Verhandlungsrunden nicht hinreichend im Vordergrund stehen könnte.

(iii)   Bereits jetzt sind die Besonderheiten des deutschen akademischen Karrieresystems international schwer zu vermitteln. Sollten in Folge der Tariföffnung noch Unterschiede zwischen außeruniversitären und universitären Einrichtungen, zwischen Bundesländern oder gar einzelnen Einrichtungen entstehen, würde dies die Situation weiter verkomplizieren und könnte die Attraktivität des deutschen Systems herabsenken.

(iv)   In vielen Ländern gibt es „Code of Conduct“ Arbeitsgruppen, in denen Hochschulleitungen und Interessenvertretungen in vertrauensvoller und produktiver Weise zusammenarbeiten. Code of Conducts, wie sie beispielsweise in Hessen und Hamburg existieren, können ein wirksames Mittel sein, um länderspezifisch passende Regelungen der Karrierewege auszuhandeln. Bei der vorgeschlagenen Tariföffnung sehen wir das Risiko, dass diese etablierte Kultur der Zusammenarbeit nicht mehr fortgeführt werden kann, wenn zugleich tarifliche Auseinandersetzungen auf übergeordneter Ebene stattfinden.

Änderungsvorschlag

Streichung der erweiterten Tatbestände zur Tariföffnung.

 

5. Studienbegleitende Beschäftigung

Höchstbefristungsdauer

Wir begrüßen die Heraufsetzung der Höchstbefristungsdauer für studentische Beschäftigte von sechs auf acht Jahre.

Mindestvertragslaufzeit

Wir halten die Einführung einer Mindestvertragslaufzeit von einem Jahr als Soll-Vorschrift für grundsätzlich hilfreich. Zugleich sehen wir, dass es in einer Reihe von begründeten Fällen notwendig sein wird, diese Vertragslaufzeit zu unterschreiten. Wir begrüßen daher den entsprechenden Passus in der Gesetzesbegründung, dass kürzere Vertragslaufzeiten möglich sind, wenn „die Art der Tätigkeit dies unbedingt erfordert“. Zugleich möchten wir dafür werben, hier größere Rechtssicherheit zu schaffen, indem Beispiele in die Begründung aufgenommen werden. Die wichtigsten Fälle aus unserer Sicht sind:

  • Unterstützung von Lehrveranstaltungen, Projekten und Praktika, die nicht jedes Semester wiederkehren;
  • Unterstützung bei der Durchführung einmaliger Veranstaltungen, insbesondere in Fällen, in denen eine größere Zahl studentischer Hilfskräfte zeitgleich eingesetzt werden muss;

Änderungsvorschlag

Aufnahme der o.g. Beispiele in die Gesetzesbegründung im Sinne einer „Art der Tätigkeit“, die eine kürzere Vertragslaufzeit „unbedingt erfordert“.

 

6. Medizin

Der Referentenentwurf sieht vor, die befristungsrechtlichen Rahmenbedingungen für Weiterbildungen im Bereich der Humanmedizin und der Psychotherapie künftig über das Gesetz über befristete Arbeitsverträge mit Ärzten in der Weiterbildung (ÄArbVtrG) zu regeln. Diese Verlagerung ist ein grundsätzlich gangbarer Weg. Entscheidend dafür ist, dass das Ziel der wissenschaftlichen Qualifikation im ÄArbVtrG, neben den dort bereits genannten Zielen, ebenfalls verankert werden muss. Eine reine Aufhebung des Vorrangs des WissZeitVG reicht ausdrücklich nicht aus.

 

7. Übergangsphase und Evaluation

Inkrafttreten des Gesetzes

Bei einer Novellierung des WissZeitVG entlang des Referentenentwurfs erwarten wir erheblichen Neuregelungsbedarf auf Seiten der Länder und Universitäten. Der vorgeschlagene Übergangszeitraum von nur sechs Monaten ist daher deutlich zu kurz, um eine Umsetzung zu planen und in qualitätsgesicherter Weise vorzunehmen. Insbesondere wird zu prüfen sein, wie die Novellierung des WissZeitVG mit bereits bestehenden landes- und universitätsspezifischen Regelungen zu Karrierewegen in Einklang zu bringen ist. Zusätzlich ist dem signifikanten Gremienabstimmungsbedarf im Rahmen der akademischen Selbstverwaltung Rechnung zu tragen. Um eine reibungslose Operationalisierung der Novelle zu gewährleisten, sollte die Übergangsphase nach dem Inkrafttreten des Gesetzes sinnvollerweise 18 Monate betragen und keinesfalls 12 Monate unterschreiten.

Änderungsvorschlag

Verlängerung der Frist bis zum Inkrafttreten des Gesetzes auf mindestens 12 Monate.